Der Tölzer Knabenchor wurde im Jahr 1956 von Gerhard Schmidt-Gaden ins Leben gerufen und zählte wenige Jahre nach seiner Gründung bereits zu den gefragtesten und vielseitigsten Knabenchören. Die Tölzer leisteten mit wegweisenden Interpretationen insbesondere auf dem Gebiet der Barockmusik einen nicht unerheblichen Beitrag zum Wandel der musikalischen Aufführungspraxis. Tölzer Solisten übernahmen die Knabenpartien an den führenden Opern- und Konzerthäusern Europas. Der Chor ist ebenso gefragt bei Aufführungen großer oratorischer und symphonischer Werke mit renommierten Orchestern und Dirigenten. Künstlerpersönlichkeiten wie Carl Orff, August Everding, Hans Werner Henze, Leonard Bernstein, Gustav Leonhardt, Nikolaus Harnoncourt und Claudio Abbado zähl(t)en zu den Förderern des Chores. Herbert von Karajan bezeichnete den Tölzer Knabenchor seinerzeit sogar als "einen der besten Chöre der Welt".

Freitag, 1. Dezember 1972

J.S.Bach Magnificat mit dem Collegium aureum

1972
LENGGRIES, Pfarrkirche
Schallplattenaufnahme

J.S. BACH:
Magnificat D-Dur BWV 243
Kantate "Unser Mund sei voll Lachens" BWV 110

Walter Gampert, Peter Hinterreiter, Sopran
Andreas Stein, Alt
Theo Altmeyer, Tenor
Siegmund Nimsgern, Baß-Bariton
Tölzer Knabenchor
Collegium aureum (Konzertmeister: Franzjosef Maier)
GERHARD SCHMIDT-GADEN, Dirigent

LP BASF / harmonia mundi
Aufnahmeleitung: Dr. Thomas Gallia, Dr. Alfred Krings

Ein Dokument historischer Aufführungspraxis
"Die Besetzung der Aufnahme hält sich in ihren Proportionen an Bach'sche Vorbilder. In den 4- und 5stimmigen Chören singen 18-22 jugendliche Sänger. Die Solostimmen in Sopran und Alt sind wie die Chorstimmen den Knabenstimmen des Tölzer Chores zugedacht. Der um einen Halbton tiefere Stimmton des Orchesters entspricht der Leipziger Stimmung der Bach-Zeit. Der Klang der Naturtrompeten, der milden Traversflöten und der naturhaft klingenden Oboen, vermittelt in unmittelbarer Weise die farbenreiche Skala eines Instrumentalensembles der spätbarocken Zeit."
(aus dem Einführungstext zur Schallplatte)

Das Kölner Ensemble Collegium aureum spielt auf Originalinstrumenten, es wurde von Dr. Alfred Krings und der Freiburger Schallplattenfirma harmonia mundi 1963 zum Zweck der "Entstaubung der Alten Musik" gegründet. Der Geiger Dr. Jan Reichow, langjähriges Mitglied des Collegium aureum, erinnert sich: » Krings brauchte für Harmonia Mundi ein tüchtiges Schallplattenorchester, das für seine Innovationen offen war, und er brauchte einen Künstler wie Franzjosef Maier, der sie auf ein praktikables Maß brachte. [...] Dem Tölzer Knabenchor und seinem Leiter Gerhard Schmidt-Gaden griff Krings in einer besonders schwierigen Zeit unter die Arme. Jedes Jahr fanden Produktionen in der Lenggrieser Pfarrkirche oder in Benediktbeuern statt, und der Chor, der vor überbordender Vitalität manchmal weniger homogen wirkte als etwa der Windsbacher, nahm eine atemberaubende Entwicklung, die sich in Aufführungen wie denen der Kantate BWV 110 "Unser Mund sei voll Lachens" oder der zwei Magnificats von Bach (Vater und Sohn), unvergesslich manifestierte. Schmidt-Gaden war nicht nur ein "Leuteschinder", sondern auch ein unentwegt Lernender, der sich - später auch durch die Zusammenarbeit mit Harnoncourt angespornt - in alle Höhen und Tiefen der Aufführungspraxis stürzte. [...] Sein physiologisches Wissen und seine wachsende Erfahrung in der Stimmbildung brachten die Knabensolisten in immer jüngeren Jahren zu stupenden Leistungen, in manchen Fällen gelangen die schönsten Aufnahmen wenige Monate vor dem Stimmbruch. « 
(J.Reichow: Wie alte Musik neu wurde und ferne Musik allmählich näher kam. Ein Rückblick auf 50 Lehrjahre, CONCERTO Heft 202, Juni/Juli 2005, S. 24)

"Bachs Magnificat „historisch“, mit niedrigem Kammerton, Darmsaiten, Clarintrompeten und Knabenstimmen – das klingt – auch dank der vorzüglichen Aufnahme in der oberbayrischen Pfarrkirche Lenggries – nicht schmächtig oder steril, sondern glanzvoll farbig und mächtig wie selten sonst."
DIE ZEIT (Joachim Matzner), 17.08.1973